Wo geht der Weg der Menschheit hin? Welche Rolle spielen unsere technischen Möglichkeiten dabei? Diese Fragen beschĂ€ftigen viele Forscher – nicht nur im Bereich KĂŒnstliche Intelligenz. Utopien sind dabei ein beliebtes Genre, den (oft extremen) Rahmen der Möglichkeiten abzustecken. Unser Gastautor Tino Polzin erklĂ€rt uns, warum wir mehr ĂŒber Utopien lesen sollten.
Was sind Utopien?
Jeder von uns kennt den Ausdruck, dass etwas âutopischâ ist und versucht damit den Umstand zu verdeutlichen, dass etwas unmöglich zu erreichen scheint. Obwohl der Begriff Utopie zu Zeiten der griechischen Hochkulturen so nicht existierte, stammt er doch aus dem Griechischen und bedeutet tĂłpos âOrtâ und ou ânichtâ. Wörtlich bedeutet Utopie âNirgendslandâ oder âNichtlandâ.

In einer Utopie möglich: Eine virtuelle Stadt, die sich von unser Vorstellung einer Stadt sehr weit entfernt hat.
Utopien in der Literatur stellen gemeinhin eine ideelle Gesellschaft dar, die in einem mehr oder weniger isolierten Raum existiert. Diese imaginĂ€ren Gemeinschaften stellen eine positive oder negative Entwicklung der real existierenden Welt dar. Kurz gesagt sind Utopien die Manifestation einer âmöglichen Gesellschaftâ im Text. Die erste Utopie ĂŒberhaupt stammt vom Philosophen Platon. In seinem Werk âPoliteiaâ (dt. âDer Staatâ) aus dem Jahre 370 v. Chr. versucht er die Gerechtigkeit im Staat und die perfekte Ordnung der Gesellschaft zu entwickeln. In der Literatur gibt es neben den Utopien auch die Anti-Utopien (Dystopien). Romane also,  die sich mit dem Gegensatz einer ideellen Gesellschaft auseinandersetzen. Bekanntestes Beispiel hierfĂŒr ist der Roman â1984â von George Orwell aus dem Jahre 1949.
Warum sollte man Utopien lesen?

Utopien klingen befremdlich oder idyllisch? Unsere Verantwortung ist es, sie zu verhindern oder herbeizufĂŒhren.
Viele Autoren von Utopien entwickeln eigene Vorstellungen einer ideellen Gesellschaft und beziehen sich dabei meist mit einem satirisch-kritischen Unterton auf vorherrschende GesellschaftsverhĂ€ltnisse der jeweiligen Zeit. Damit geben utopische Romane dem Autor vergleichsweise viel Macht in die HĂ€nde, vor allem in Zeiten staatlicher Zensur. FĂŒr uns als Leser bietet sich hierbei die Möglichkeit, einen Einblick in die Gedanken des jeweiligen Autors zu bekommen. Zudem lassen sich mit dem nötigen VerstĂ€ndnis fĂŒr die jeweilige Zeitepoche auch die Nuancen von Kritik und Satire an MissstĂ€nden vergangener Gesellschaften erkennen.
Neben unterschiedlichen Utopien des perfekten Staates bietet auch die fortschreitende, technische Entwicklung genĂŒgend Möglichkeiten und AnlĂ€sse, sich mit dem Lesen utopischer/ dystopische Romanliteratur den Geist dafĂŒr zu öffnen, wo technische Entwicklungen enden können und ob dies im Sinne der Menschheit ist. Als Beispiel fĂŒr die Auseinandersetzung von Technik in Utopien sei hier nur Aldous Huxleys âSchöne Neue Weltâ genannt. Huxley beschreibt in seinem Buch einen Weltstaat, dessen zentrales Wesensmerkmal die genetische Manipulation von Erbgut und Embryonen ist.
Utopien bieten trotz ihrer oftmals simplen ErzÀhlstruktur ein Fenster in die Zukunft, durch das wir als Leser blicken können. Dabei können wir von dieser Zukunft fasziniert sein oder uns angewidert abwenden, aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass jedes Fenster auch ein Spiegel sein kann.
Welche Utopien sind lesenswert?
- Platon, âPoliteiaâ (dt. âDer Staatâ), 370 v. Chr. – Warum: Erste Utopie ĂŒberhaupt und prĂ€gender Entwurf fĂŒr die Ordnung eines Staates und dessen Gesellschaft.
- Thomas Morus, âUtopiaâ, 1516 – Warum: Namensgeber des Utopiegenres, zudem auch kritische Auseinandersetzung mit der Zeit des 16. Jahrhunderts.
- Aldous Huxley, âSchöne Neue Weltâ, 1932 – Warum: Ein Weltstaat, der durch genetische Kontrolle und glĂŒcklich machende Rauschmittel im wahrsten Sinne des Wortes glĂŒckliche Menschen erschafft.
- George Orwell, âNineteen Eighty-Fourâ, 1949 – Warum: Die wohl bekannteste Dystopie ĂŒberhaupt etablierte den âBig Brotherâ und fĂŒhrt dem Leser vor Augen, was passiert, wenn die Ăberwachung total und absolut wird.
- Dave Eggers, âThe Circleâ, 2013 – Warum: In gewisser Weise ĂŒbersetzt diese Mini-Dystopie den Roman â1984â in unsere Zeit, in der ein Internetkonzern nicht nur das (digitale) Leben seiner Nutzer totalĂŒberwachen will.
Zum Gastautor: Tino Polzin, Jahrgang ’90, studierte Philosophie, Geschichte und Psychologie an der TU Dresden sowie der FU Hagen. Aktuell beschĂ€ftigt er sich mit der Klassifikation von Utopien in der Literatur.